Alle Artikel in: Monatstugenden

Die Monatstugenden nach Rudolf Steiner

Vorbereitung und Vertiefung

Ausdauer

„Ausdauer wird zu Treue“. So lautet die Tugend im Monat Juni. Sie schließt sich dem Gleichgewicht des vorigen Monats an und leitet zur Selbstlosigkeit des nächsten Monats hinüber. Das Üben der Ausdauer entwickelt sich zur seelischen Kraft der Treue. Stellt man sich vor, direkt die Treue leben zu wollen, dann fehlt noch irgendein Bezug, die Treue zu etwas bzw. die Ausdauer an etwas. Also muss noch etwas hinzukommen: Man benötigt eine Zielsetzung, einen Impuls, der eine neue Bewegungsrichtung einschlägt und damit einen Weg eröffnet.

Gleichgewichtsstellung Zehenspitzenstand

Gleichgewicht

„Gleichgewicht wird zu Fortschritt.“ Rudolf Steiner, der das Gleichgewicht als Tugend mit dem Fortschritt in Verbindung gebracht hat, gibt uns damit eine Übung, um auch die Wirkung daraus zu bemerken. Er versteht darunter sicher keine langweilige Mitte, als eher eine ausgewogene Vielfalt. Gemeint ist primär das Lebensgleichgewicht, das heißt, Einseitigkeiten im Leben zu bemerken und auszugleichen. 

Yoga – Drehsitz

Großmut – die Tugend im März

Im Yoga gibt es verschiedene Ebenen des Übens. Man kann die Muskulatur aufbauen, die Dehnfähigkeit erweitern und allgemein den Körper beleben. Mit der Erweiterung des Erlebens kommt auch die seelische Ebene zur Geltung. Geistig sind wir beteiligt, indem Beobachtung entwickelt und schlichtweg über die Übung nachgedacht wird, z.B. darüber, was die innere Haltung in einer Körperübung ist – die innere Haltung einer Tugend, wie beispielsweise die Großmut. Die vorige Tugend, die innere Haltung der Diskretion, vermittelt Eigenschaften wie Ruhe, Sorgfalt und Sensibilität in der Wahrnehmung. Diese kamen in der Körperübung vor allem in den verschiedenen Phasen der Übung zum Ausdruck: innehalten, ruhig werden, beobachten und das Zuviel an Spannung herausnehmen und dann erst in die nächste Bewegung gehen. Welche Fähigkeiten oder Eigenschaften weckt nun die Großmut? Die Worte mit der Endung „…mut“ bezeichnen den Ausdruck einer inneren Seelenverfassung: Anmut, Hochmut, Frohmut, Unmut, Sanftmut, Starkmut, Kleinmut, Großmut, Langmut, Freimut, Gleichmut, Edelmut, Demut, usw. oder auch jemandem etwas zumuten.

Yogaübung Kamel, Ruhephase

Devotion – eine Tugend …

… die hier als Ehrerbietung, Verehrung oder Ehrfurcht zu verstehen ist. Auf die Großmut im Sinne der Weisheit und Übersicht, die im März als Übung mit wachem Haupt gegeben war, folgt im April eine Geste der Verneigung. Denn die Devotion geht auch mit Hingabe und Demut einher. In ihr liegt aber weitaus mehr, als nur das Haupt zu senken. Wie sie zu verstehen ist, soll in diesem Artikel beschrieben werden.

Zehenspitzenstand Punkt und Umkreis

Die Diskretion – einen Raum wahren

So wie das Kind geschützt im Mutterleib eine bestimmte Zeit der Entwicklung benötigt, bis die Geburt herannaht, oder wie ein Same Ruhephasen benötigt und nur unter bestimmten Bedingungen keimen kann, so benötigt auch die Seele eine Art behütete Geschlossenheit. Auch benötigen Gedanken, Empfindungen und neue Impulse ihre eigenen Rhythmen zur Entwicklung und Reifung, bevor sie nach außen getragen werden. Die Tugend der Diskretion schafft und wahrt diesen geschlossenen Raum der Entwicklung.

Kopfstand Vorbereitung

Der Mut – eine Januarübung

Gibt es eine Übereinstimmung zwischen äußerer und innerer Haltung wie beispielsweise Mut? Zwischen der Haltung, die ich mit dem Körper einnehme und der Haltung, die ich innerlich z.B. zu anderen Menschen oder zu einem Sachverhalt einnehme? Im Volksmund gibt es Ausdrücke wie „Rückgrat haben“ oder „Haltung bewahren“ und man meint genau genommen nicht die angestrengt aufgerichtete Wirbelsäule, als vielmehr die innere seelische Haltung, die sich nicht sogleich den manchmal schwierigen Verhältnissen im Leben ergibt.

Die Yogaübung "Bogen"

Kontrolle der Gedanken

Im älteren Yoga ist die Kontrolle des Atems, das so genannte Pranayama, Teil des Übens. Die Führung des Atemstroms in einem bestimmten Rhythmus kann die Konzentration fördern und wird oftmals zur Energetisierung benutzt, um besser in eine Yogaposition zu kommen. Allerdings findet diese Wirkung der Atemführung auf körperlicher Ebene statt, sie bezieht nicht das Bewusstsein ein, außer vielleicht als Methode zur Disziplinierung des Willens. Achten wir hingegen auf unsere Gedanken, so sind wir im Bewusstsein aktiv und der Wille wird vornehmlich auf innere Weise geschult. Das bedeutet, dass die Gedankenkontrolle die Atemkontrolle ablöst.

Basis für die Yogaübung Tauben

Mit der Geduld entsteht Nähe

Die Geduld weiß um den Entwicklungsprozess. Sie arbeitet und kann warten, d.h. sie weiß, was zu tun ist und was sie nicht beeinflussen kann. Die Fähigkeit des Warten-Könnens ist also mehr, als nur ein Abwarten, sie möchte vielmehr empfänglich bleiben, den Bezug nicht verlieren, eine Nähe aufbauen. Und die Nähe ist eben nichts Fernes, sie widmet sich dem Leben auf der Erde.

Es ist nicht leicht, das Hochwachsen in den Schulterstand aus dem Herzbereich zu entwickeln.

Geduld im Prozess

„Steter Tropfen höhlt den Stein.“ sagte schon der Grieche Choirilos von Samos im 5. Jhdt. vor Christus. In diesem Bild des sachten Tropfens, der über lange Zeit hinweg den harten Stein aushöhlt, drückt sich sehr schön die Geduld aus. Auch wenn der Fortschritt nicht im einzelnen Augenblick zu sehen, entsteht er aber dennoch unsichtbar. Meist glaubt man nur, was man sieht und würde das Aushöhlen damit erklären, dass mikroskopisch ja doch eine Veränderung bei jedem Aufprall des Tropfens zu sehen sei. Aber zur Zeit Choirilos‘ gab es keine Mikroskope und es ist anzunehmen, dass er auf den inneren Zusammenhang hindeuten wollte: auf den Prozess. 

emporheben in der Winkelsitzhaltung

Höflichkeit und Form

Verhaltensformen werden in unserer gegenwärtigen Zeit oft als Zwang gewertet. Verständlich, wenn Umgangsformen sehr streng eingefordert werden. Dagegen steht der Wunsch nach freilassendem und entspanntem Miteinander. Aber gibt es nicht auch etwas Positives daran, eine Form zu wahren, wie es beispielsweise die Höflichkeit ist? Was geschieht dabei, wenn ich trotz evtl. berechtigtem Ärger die Form wahre und höflich bleibe?

Vorwärtsbeuge mit Öffnung

Höflichkeit – Geste der Sensibilität

Im September beschäftigten wir uns in den Kursen mit der Höflichkeit als Haltung. Dabei haben wir unterschieden zwischen Höflichkeitsformen, die man zunächst lernt, und Höflichkeit als innerer Sinn, als Sensibilität, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für andere Menschen. Bei der höflichen Verhaltensweise sprechen wir von einer äußeren Form, so wie man z.B. „guten Tag“ sagt. Man empfindet das Verletzen solch einer Form als unhöflich. Ebenso kann es unhöflich sein, wenn eine Form ohne wirkliche Aufmerksamkeit für den anderen angewendet wird. Hat jemand einen Schicksalsschlag oder schmerzliche Veränderungen im Leben erfahren, wird man das in der Begegnung berücksichtigen, sensibel sein und keine überschwänglichen Fragen stellen, auf die derjenige vielleicht gar nicht antworten möchte. Daran lässt sich erahnen, dass Höflichkeit nicht allein Form, sondern auch Sensibilität, Aufmerksamkeit und Empathie sein kann, bei der die Person des anderen berücksichtigt wird und Vorrang gegenüber den eigenen Interessen hat.

Yogaübung Kamel, Armbewegung

Mitleid wird zu Freiheit

Eine innere Haltung bringt oft mehr zum Ausdruck, als eine äußere. Oder wenn verschiedene Menschen die gleiche äußere Haltung einnehmen, kann sie jeweils einen ganz anderen Ausdruck haben. Auch die Übung hat immer eine innere Haltung und kann im Ausdruck sehr unterschiedlich sein. Gibt es bei den Yogaübungen etwas, das dem Mitleid im Sinne des Erkennens und Einfühlens entspricht?

gomukhasana, yogaübung zur Diskretion

Von der Diskretion zur Großmut

Die Diskretion schafft eine gewisse Voraussetzung für die großmütige Tat. Denn durch die Diskretion lernt man sich und die Situationen im Leben erst richtig einzuschätzen, bevor zu hastig gehandelt oder gesprochen wird. Das schafft eine neue Übersicht im Leben. Man könnte auch sagen, der Kopf wird freier durch die zurückhaltende Diskretion. Diese neu entstandene Übersicht in Gedanken macht den Menschen freier und ermöglicht die großmütige Tat, die über das allzu schnell verletzte kleine Ego hinausblicken kann. Das „freie Haupt“ ist aber nicht zu verwechseln mit Überheblichkeit und Arroganz, die über allem steht und nichts an sich heranlässt. Man kann es sich vielmehr vorstellen als das Haupt, das trotz Spannungen im Leben noch einen Gedanken fassen kann und in der Lage ist, bei den Aversion gegen einen Menschen oder eine Sache auch das Gute und Förderliche zu sehen. Und dies wiederum ist die Fähigkeit, das Richtige zu tun. Großmut ist keine Überschwenglichkeit, um zu zeigen, wie großzügig man doch ist. Großmut sieht den anderen und die Situation und handelt nicht aus dem Affekt, Vergeltungs- oder auch …

Yogaübung Kobra

Zufriedenheit wird zu Gelassenheit

Eine Yogaübung besteht nicht nur aus Können und Leistungssteigerung – dann wäre Yoga nur etwas für Sportler und Akrobaten – viel entscheidender ist der Sinn für eine Übung, für die seelische Gestik darin, welche den künstlerischen Ausdruck bestimmt. Das macht das Üben unabhängiger von Können und Nichtkönnen und ob jemand jung und beweglich oder schon älter und unbeweglicher ist. Als Bewusstseinsinhalt stand im Oktober die Frage im Mittelpunkt, wie sich Zufriedenheit auf die Seele auswirkt, wie Ruhe und Gelassenheit entsteht und warum diese wichtig für die nächste Tugend der Geduld sein wird.

Yogaübung Halbmond im Verhältnis zum Raum

Yoga und Selbstlosigkeit

Yoga war ursprünglich Teil eines spirituellen Weges, zu dem auch die Selbstreflexion, Studium und Meditation gehörten. Die einfache Yogapraxis ist noch kein spiritueller Weg, aber man kann die Yogaübungen so untersuchen, dass sie neue Einsichten für das Leben bringen. Jeder äußeren Haltung liegt eine innere Haltung zugrunde. Welche Gesten verbergen sich hinter einer Yoga-Übung? Wie sieht eine Haltung aus, in der ein Ideal wie die Selbstlosigkeit zum Ausdruck kommt?

Yogaübung Halbmond Vorbereitung

Die Diskretion – Februarübung

„Diskretion wird zu Meditationskraft“ … Das Üben der Monats-Tugenden nach Rudolf Steiner. Mit „Diskretion wird zu Meditationskraft“ wird ein Aspekt der seelisch-geistigen Entwicklung angedeutet. Die Yoga-Übung selbst kann diese Entwicklung nicht bieten, denn sie ist eine äußere Körperhaltung, die Tugend ist eine innere Seelenhaltung. Die Yogaübung könnte aber ein künstlerischer Ausdruck der Seele werden, wenn ein Sinn für die Seelenhaltung entsteht. Vielleicht mag man denken, ein Mensch hat diese oder jene Tugend ein anderer nicht, als sei der Mensch von der Natur determiniert und könne nichts hinzu entwickeln. Rudolf Steiner empfahl hingegen, Tugenden konkret zu üben. Er nannte zu jeder Tugend eine bestimmte seelische Kraft, die sich aus dem individuellen Üben entwickeln kann. So wie sich bei der Tugend des Mutes „Erlöserkraft“ entwickeln kann, so sieht er als Ergebnis des Übens der Diskretion die „Meditationskraft“.